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Kindheit im Exil

Ein Erlebnis aus meiner Kindheit in Bayern.

„Ratatatata… Ratatata… Ratatata“

„Achtung! Flieger von rechts!“

„Ratatatata… Achtung links!“

„Hurrraaa! Abschuss!“, tönte es lauthals aus den Kehlen der Kinder.

„Los! Da sind noch welche. Zeigen wir’s ihnen!“

Die wilde Meute spielte schon seit den frühen Morgenstunden mit den übrig gebliebenen 8,8 Zentimeter Geschützen der deutschen Wehrmacht, die immer noch in der Nähe des Flugplatzes von Manchingen standen. Bald sollte es von den Amerikanern genutzt werden.

Das gewaltige Rohr des Flugabwehrgeschützes, kurz Flak gennant, ließ sich mühelos in alle Richtungen drehen. 360 Grad. Auch hoch und runter, denn diese Flak war dazu da, um angreifende Bomber abzuschießen. Selbst die Gruppe der mageren Kinder, aller Altersklassen, hatten keine Mühe damit. Die Geschütze wurden nämlich elektrisch betrieben. Warum sie noch angeschlossen waren und niemand sie bewachte, war den Kindern in ihren abgerissenen Kleidern egal. Sie fühlten sich, wie in einem Freizeitpark. Es war ihr Spielplatz. Ein gefährlicher.

Die Kleineren mussten den Größeren was geben, um auf den Sitz des mächtigen Geschützes klettern zu dürfen. Das war heiß begehrt, denn man konnte nicht nur Soldat spielen, sondern fühlte sich wie auf einem Karrusel. Man konnte sich damit rundum drehen, bis einem schwindelig wurde.

Für die Kinder war es ein Abenteuer. Nicht nur, weil es ihre Erinnerungen der letzten Jahre widerspiegelte. Alle hatten die letzten Jahre nur Tod, Verwüstung und Elend erlebt. Viele waren Kinder aus ausgebombten Familien, die aufs Land verfrachtet worden waren. Wie ich. Nach Manchingen im Bayerischen. Sie hatten oft nicht mehr, als das, was sie auf dem Leibe trugen. Selbstverständlich auch kein Spielzeug. Da kam so eine mächtige Flak wie gerufen. Ein tolles, aufregendes Erlebnis, das die Jüngsten ihr Elend, vielleicht auch ihr Kriegstraumata, vergessen ließ. Zumindest zeitweise.

Aber auch ein gefährliches. Denn wer nicht mit dem Geschütz beschäftigt war, wurde losgeschickt um Munition zu sammeln. Die lagen überall herum. Vorzugsweise Granaten, die noch Pulver enthielten. Die waren begehrt, weil man mit dem Pulver etwas in die Luft jagen konnte. Die Kleinen, brachten die oft noch unversehrten Geschosse, den Größeren und durften dann aufs Geschütz. Zur Belohnung. Die Großen zogen mit einer Zange die Hülsen auseinander, um an das Pulver zu gelangen. Dass dabei nichts passiert war, kann man echt ein Wunder nennen.

Ein weiteres, noch gefährlicheres Spiel war es, den Zünder vom Geschoss zu trennen. Die Jungs trennten mit einer Zange das Geschoss vorne, von der Hülse und schütteten das Pulver dann in einen Behälter. Wenn sie genug beisammen hatten, legten sie eine ewig lange Zündstrecke. An einem Ende angezündet, ergab sie eine riesige Stichflamme, die sich wie ein Wurm am Pulver entlang wand. Alle gingen dabei in Deckung.


Wie in einem Schützengraben, warfen sich die Kinder zu Boden. Fühlten sich unverwüstlich. Andere der Waghalsigen brachten es fertig, die noch intakten Zünder mit einem Nagel und einem Hammer zur Explosion zu bringen und an das offene Pulver zu halten. Not macht erfinderisch. Das weiß man ja. Wie sie zuvor die Geschosse aufbekommen hatten, den Zünder ausschraubten, um das Geschoss herauszuhebeln, weiß ich nicht. Das war sicher saugefährlich. Aber als Kind hat man ja einen besonderen Schutzengel. Jedenfalls waren alle begeistert, wenn der Zünder explodierte und das Pulver sich entzündete.

Mitmachen durfte ich nicht. Ich habe alles nur aus der Distanz beobachten können. Denn ich war der Fremde. Der Zugezogene, der als einzigster kein Bayrisch sprach. Weggejagt hatten sie mich, wenn mich die Neugier zu nahe brachte. Ausgegrenzt. So, war es eben schon immer.

Amerikanische Soldaten haben uns dann verjagt. Doch alles abgebaut und mit riesigen LKW’s weg transportiert. Der Riesenspass war zu Ende.

2 Antworten auf „Kindheit im Exil“

War das Manching in Bayern bei Tante Hedwig?
Da weiss ich auch noch ein bisschen was aus Erzählungen. War 1944 oder Anfang 1945. Schreib weiter.
Interessiere und freue mich über alles, was du schreibst.
Grüßle
deine Lieblingscousine Ingrid

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