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Straßburg

Eine Erzählung

Meine Familie ist in ihrer Zusammensetzung außergewöhnlich. Sie besteht aus eigenen und einer Reihe adoptierter Kinder, die sich aus unserer Aufgabe als Pflegefamilie ergaben. Diese Geschichte handelt von einer Halbschwester meiner Adoptivtochter.

Diese Halbschwester meiner Tochter, schreibt mich über Instagram an. Ich nenne sie meiner Erzählung Victoria. Auf Instagram tummeln sich ganz viele meiner Bekannten, Verwandten und Freunde, mit denen ich jedoch weder kommuniziere, noch Kontakt habe.

Daher war ich verwundert, als mich Victoria anschrieb und fragte, ob ich Hilfe brauche. Ich sei doch schon im vorgerückten Alter und da hätten doch viele Probleme ihren Alltag zu meistern. Genau genommen bin ich achtzig und noch rüstig. Dennoch hatte mich diese Anfrage nicht nur überrascht, sondern auch gefreut. Immerhin hatten wir seit rund 20 Jahren nichts mehr voneinander gehört.

Sie bot mir Hilfe an. Beim Einkaufen, Rezepte einlösen, oder andere Hilfestellungen, mit denen ich nicht alleine nicht klar käme. Eine Handynummer war beigefügt. Mir kam das Angebot wie ein Wunder vor. Wie kam Victoria zu solch einem Angebot?

Wir hatten so lange keinen Kontakt miteinander. Auch wenn sie schrieb, dass sie in Heidelberg arbeiten würde und sie mir auf ihrer Fahrt von und zur Arbeitsstelle problemlos Hilfe leisten könnte, war das für mich unvorstellbar.

„Wer hilft denn heute noch Menschen in Not, ohne jegliche Gegenleistung?“, dachte ich. Aber, das hatte mich so beeindruckt, dass ich mich mit Victoria zu einem Eiskaffee verabredet hatte. Aus dem Eiskaffee wurden dann drei angeregte Stunden, voller Informationen und dem Wunsch einen gemeinsamen Ausflug nach Straßburg zu machen. Wir hatten uns von Anfang an gut verstanden.

Die Zeit der Anfahrt nach Straßburg verging wie im Flug, so angeregt waren unsere Gespräche. Dann Tiefgarage und Spaziergang in der Altstadt, bei herrlichem Wetter. Es war August und wir waren beide sommerlich angezogen. Es war gut warm. So, wie es sich im Hochsommer gehört.

Daher war auf den Wasserkanälen Straßburgs mächtig was los, vor allem Ausflugsgäste im offenen Schiff, unendlich viele Brücken prägten das Bild. Dieser Flair war einfach herrlich. Es war, als wären wir in einem anderen Leben.

In der Fußgängerzone frühstückten wir mit Genuss und guten Gesprächen. Victoria aß ein Sesambrötchen mit Lachs, Milchkaffee und Orangensaft. Ich war etwas herzhafter unterwegs, mit einem Schinken Baguette, belegt mit Grünzeug, danach eine Schneckennudel, mit Kirschen und Zuckerguss. Natürlich durfte der Milchkaffee in den üblichen, großen Tassen nicht fehlen. Der französische Café au Lait. Während Victoria ihre Kopfbedeckung abgenommen hatte, behielt ich meine Batschkapp an. Meine Kopfhaut ist sehr empfindlich, sodass ich den Rat der Hautärztin beherzigte und stets eine Kopfbedeckung trug.

Das Straßburger Münster bot, trotz dem sonnigen Wetter, eine in Stein gehauene, trotzige, fast düstere, aber eindrucksvolle Kulisse.

Es war wunderschön durch die Gassen zu streifen, welche sehr gepflegte Fachwerkhäuser säumten. Idyllisch das Grün der Bäume, die Sträucher und Kletterpflanzen an den Häusern. Märchenhaft. Man fühlte sich fast wie in einem anderen Jahrhundert zurück versetzt. Dank der Fußgängerzonen.

In einen der Fußgängersträßchen aßen wir zu Mittag. Es bestand aus Flammkuchen, einer elsässischen Spezialität. Ein leichtes überaus schmackhaftes Essen, wozu bei mir ein Glas Rotwein und bei meiner Begleitung ein Glas Weißwein dazu beitrug, dass es besser rutschte.

Als ich von der Toilette zurück kam, vermisste ich plötzlich mein Handy. Es war verschwunden. Ich war mir absolut sicher, daß es vor meinem Gang zur Toilette noch auf dem Tisch gelegen hatte. Victoria war sich nicht sicher. Sie konnte sich nicht erinnern, es gesehen zu haben.

Oh je, wenn das jetzt weg war! Womöglich gestohlen. Vom Tisch weg. Das wäre ein teurer Ausflug. Victoria hatte schnell den richtigen Einfall und wählte meine Nummer, vielleicht klingelte es in unserer Nähe und alles hätte sich erledigt.

Es meldete sich eine weibliche Stimme auf Französisch. „Ah ha.“, dachten wir, da hatten wir die Täterin. Aber wie geht es jetzt weiter? Keiner von uns konnte französisch. Nach Sekunden der Sprachlosigkeit, hörten wir die unbekannte Stimme ins deutsche wechseln. Mit französischem Einschlag: „Sind sie diejenige Person, die im Käseladen eingekauft hat? Dann haben sie auch ihr Handy hier an der Theke liegen lassen!“

Was für eine Erleichterung, das Handy war nicht gestohlen! Und das geschah so:

Victoria suchte schon die ganze Zeit ein Spezialitäten Geschäft, in dem es Genüsse der Region gab. Wir hatten auch ein tolles Geschäft gefunden. Angefüllt mit vielerlei Käse, Wurst und Pasteten. Der Rest fand weniger unsere Aufmerksamkeit. Die Verkäuferin war sehr sympathisch und wir kamen ins Gespräch. Wir deckten uns mit Windschweinsalami, verschiedenen Käse Leckereien und Pasteten ein. Beim Bezahlen, musste ich mein Handy auf die Theke gelegt und es einfach vergessen haben.

So etwas konnte in meinem Alter schon einmal passieren, wenn ich abgelenkt war. Bei Hitze sowieso, denn die Temperatur hatte mittlerweile 30 Grad überschritten. Aber es war ja noch mal alles gut gegangen.

Erschöpft von der Aufregung, der Hitze, standen wir auf einem großen Platz hinter dem Münster und schauten sehnsüchtig einigen Springbrunnen zu. Sie schossen, in zwei Reihen angeordnet, ihre kühlenden Wasserfontänen, direkt aus dem gepflasterten Boden in die Höhe. Eine Menge an Menschen erfreute sich an dem Schauspiel. Aber keiner lief hindurch.

“Da geht’s jetzt durch, als wenn es keine Fontänen gäbe.“, sagte Victoria plötzlich. „Auf Freddy, sei kein Frosch!“.

Zuerst dachte ich, die spinnt ja! Wir sind doch keine Kinder. Aber sie ließ nicht locker. Da vergaß ich mein Alter, die Leute um uns herum und so spazierten wir zusammen durch’s kühle Nass. Ganz langsam, als würden wir flanieren.

Die Zuschauer hatten sich nicht mehr ein gekriegt. Wir boten ja auch etwas. Meine kurze, bräunliche Hose, mein schönes, blaues Hemd, der Rucksack, die Schuhe und die Strümpfe, alles war in Sekunden klitschnass. Durchweicht, als wäre ich in eine Badewanne gestiegen. Ich sah aus, wie ein gerupftes Huhn. Victoria genauso.

Dennoch lachten wir wie verrückt, so etwas musste einem erst einmal einfallen. Dank der Sonne waren wir innerhalb kurzer Zeit wieder trocken gelegt. Es war ein toller Tag an den ich noch heute gerne zurück denke. Dank Victoria.

Aber es gab noch eine Überraschung, als mich Victoria am frühen Abend daheim absetzte. Mein spontaner Ausflug nach Frankreich war nicht unbemerkt geblieben. Ausgerechnet in der Zeit, als ich mein Handy im Käseladen vergessen hatte, rief mich meine Schwiegertochter an und war völlig aus dem Häuschen unerwartet eine Französin am Telefon zu haben.

Daher wusste nicht nur meine ganze Familie, wo ich gewesen war, sondern ich hatte auch aufzuklären, wer denn diese fremde, französische Frau an meinem Handy gewesen war.

4 Antworten auf „Straßburg“

Welch tolle Erfahrung/Geschichte 🙂 Unglaublich schöne Worte, die malerisch vieles zu beschreiben pflegen. Nun hab ich Lust einen Ausflug nach Straßburg zu machen…um auch einen so schönen und abenteuerlichen Tag erleben zu dürfen. Der letzte ist schon zu lange her ;).

Manfred das ist sehr schön und eindrucksvoll geschrieben.
Mach weiter so.
Leben heißt „Leben und Lieben“ und Freude haben.
Das zeigst du gerade ganz fantastisch.
Liebe Grüße
von, ja von wem denn

Freue mich, wie „BOLLE“, über solche philosophische Offenbarungen. Hätte nie gedacht, dass ich das in meinem Alter noch erfahren darf. Habe noch ganz viele Kurzgeschichten im Kopf und solange sie auf Interesse stoßen auch hier wiedergeben werde.
Danke an dein LEBEN und LIEBEN, hat mich sehr gerührt.

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