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Erinnerungen im Mosaik

Weitere Erinnerungen an meine Kindheit in Bayern

Wohnen in Manching

Alle waren ausgebombt. So nannte man das, wenn einem die Wohnung, oder das ganze Haus bei einem Luftangriff zerstört worden war. Es gab keine Möglichkeit mehr in Pforzheim zu wohnen. Die Stadt gab es nicht mehr. Also mussten wir auf’s Land. Wie schon so viele vor uns.

Auch wir wurden evakuiert. Wenn ganze Familien aus den bedrohten Städten fliehen mussten, um sich bei Verwandten, Bekannten oder staatlichen Stellen einen anderen Wohnraum zu suchen, wurde man evakuiert. Uns verschlug es nach Bayern. Meine Tante und ihre Kinder lebten bereits dort, nachdem Mühlacker bombardiert worden war. Vielleicht war das der Grund gewesen, warum meine Mutter mit mir, nach Manching ging.

Meine Mutter und ich fanden Unterschlupf in einer kleinen Mansarde. In unmittelbarer Nähe der Tante. Ein Zimmer. Eigentlich war es ein grob ausgebauter Speicher. Kein Badezimmer, keine Dusche. Es gab ein kleines Waschbecken im Raum. Die Toilette war auf dem Gang und wir nutzen sie mit anderen Hausbewohnern. Es war nicht unbedingt ein Luxusappartement. Kein romantisches Loft. Aber wir waren froh, ein Dach über dem Kopf zu haben.

Da saß ich nun, keine 5 Jahre alt und spielte mit groben Holzscheiten auf dem Fußboden unserer kärglichen Behausung. Es war unser Feuerholz, für mich waren es meine Autos. Eher LKW‘s, so groß, wie die Klötze noch waren. Es gab ja weder Kindergarten, noch Spielzeug und kein richtiges Einkommen. Die Mutter arbeitete bei Bauern in der Nähe, wenn sie die Gelegenheit dazu hatte. Aber das waren nur Pfennige, die es da zu ergattern gab. Aber sie bekam immer etwas Essen mit, oder Obst und Gemüse. Das war damals mehr wert als Geld.

In dem Ort gab es auch ein Lager, oder Gefängnis. Mit einem Wassergraben umgeben. Die Nazis hielten dort Piloten gefangen, die ihren Abschuss überlebt hatten. Später, haben es die Amerikaner als Gefängnis, für politische Gefangene, genutzt. Ein Militärflughafen gab es auch. Allerdings einen recht kleinen.

Die Amis kommen…

Diese Neuigkeit waberte durch die kleine Stadt, wie der Duft eines guten Essens. Aber sie waren auch deutlich zu hören, denn die Ketten ihrer Panzer und die Motoren ihrer LKW’s waren ohrenbetäubend. Beängstigend und faszinierend zugleich. Für mich, als fünfjähriger Stepke, wirkte alles noch viel gigantischer. Riesige, stählernen Berge, die auf uns zurollten. 

Alles, was Beine hatte, rannte hin um den Einzug der Befreier nicht zu versäumen. Wir auch. Die Straßen waren gesäumt mit Menschen. Die meisten jubelten. Sie hatten ja auch Grund dazu. Endlich war der Krieg, die Zerstörung und das Töten vorbei. Aber es gab sicher auch Zaghaftere, ängstlich, sorgenvoll Wirkende, denn wir wussten noch nicht genau, was auf uns zukommen würde. Es dürften auch einige darunter gewesen sein, welche in den Amerikanern nicht die willkommenen Befreier sahen. Wer weiß.

Diese Feinheiten bekam ich als Fünfjähriger nicht mit. Woher auch. Ich freute mich. Da war was los. Etwas, was ich nicht alle Tage sah. Die schiere Gewalt der eisernen Ungetüme begeisterten mich. Ich stand ganz vorne. Und – den rechten Arm zum „deutschen Gruß“ erhoben. Das machte man doch so, oder? 

Für mich war das völlig normal. Ich kannte es ja, als kleines Kind, nicht anders. Bei Militärparaden hob man den rechten Arm. Also stand ich da und grüßte die amerikanischen Truppen, mit dem Hitlergruß. Niemand fiel das zunächst auf. Aber einem GI, auf einem der Panzer, schon. Erst als er seine Maschinengewehr zu mir herumschwenkte, fiel meiner Mutter auf, was ich da gerade tat. Sie erlitt fast einen Herzinfarkt. Entschlossen drückte sie meinen Arm herunter und schob mich hinter sich. Zum Glück, schob ein anderer GI den Lauf des gefährlichen MG‘s von uns weg. Meine Mutter zog mich schleunigst vom Straßenrand weg und wir verschwanden in der Menge. Ich selbst, bekam von der Dramatik der Situation gar nichts mit.

Der Schein trügt…

Ich konnte die Aufpasserin nicht leiden. Sie mich auch nicht, das spürte ich. Es war eine alte Frau, die auch in unserem Haus wohnte. Eine Verwandte des Bauern, bei dem meine Mutter arbeitete, um etwas Geld herein zu holen. Wenn es ging riss ich aus. Vielleicht mochte sie mich deshalb nicht. Ich machte halt immer Ärger. Schon damals.

Auf meinen Streifzügen war ich gerne im Stall. Die Tiere zogen mich magisch an. Ein Vorteil, wenn man auf dem Land lebte. Ich fühlte mich dort wohl. Der Geruch. Nach Heu und Mist gleichermaßen. Und den Tieren natürlich. Selbst, wenn die Sonne schien, herrschte dort ein schummriges Halbdunkel, in dem ich mich geborgen fühlte. Versteckt. Wie die Katze, die ich häufig dort antraf und streichelte. 

Immer lief ich barfuß umher. Wie alle Kinder im Dorf. Schuhe waren rar und teuer. Die schonte man. Zog sie nur zu besonderen Anlässen an. Meist am Sonntag. Barfuß laufen machte Spaß, vor allem in Aschehaufen springen, war eine besondere Gaudi. Die lagen auf der Straße. Von den Lastern, die mit Holz betrieben wurden. Benzin gab es zu der Zeit kaum. Auf der Ladefläche der LKW‘s gab es eine Vorrichtung und der Motor wurde mit einem Holzvergaser zum Laufen gebracht. Not macht erfinderisch.

Diese holzbetriebenen LKW’s ließen von Zeit zu Zeit ihre verbrannte Fracht ab. Die feine, staubige Asche fühlte sich toll an, wenn man in sie hineinsprang. Es staubte und die Asche klebte an Füßen und den Beinen. Jedenfalls waren alle Kinder begeistert, wenn sie wieder so einen Aschekegel auf der Straße entdeckten und stürzen sich regelrecht darauf.

Auch ich war völlig aus dem Häuschen, als ich eines dieser grauen Häufchen entdeckte. Ohne nachzudenken stürmte ich darauf los und sprang mit beiden Füßen hinein. Aber anstatt eines Wohlgefühles, spürte ich einen heftigen, stechenden und dann brennenden Schmerz. Mein jämmerlicher Schrei ließ alle Menschen erstarren und jedem war sofort klar, da musste etwas Schreckliches geschehen sein. Dieser Aschehaufen glühte noch. Innen drin, unsichtbar. Für meine begeisterten Augen sowieso. Er war wohl gerade erst abgelassen worden. Ich hatte mir beide Füße heftig verbrannt. 

Was nun? Ein Krankenhaus gab es nicht. Rettungswagen? Fehlanzeige und ein Hautarzt war ebensowenig zur Hand. Wie ich es nach Hause geschafft hatte, weiß ich heute nicht mehr. Nur, dass ich meine Mutter damit fast um den Verstand verbracht hatte. Meine Füße müssen schrecklich ausgesehen haben. 

Die alte Frau, die ich nicht leiden konnte, wusste Rat. Ein altes Hausmittelchen gegen Verbrennungen. Sie legte mir die feine, hauchdünne Haut von Zwiebeln auf. Das zarte Häutchen, das zwischen der Schale und der Knolle sitzt. Sie selbst steuerte dazu unzählige Zwiebeln bei. Wie sie wirkten und ob die Schmerzen nachließen, weiß ich natürlich nicht mehr. Nur, dass ich die Frau danach etwas mehr mochte. Ob das auf Gegenseitigkeit beruhte? Eher nicht, denn ich war ja immer noch der Wildfang. 

Endlose, langweilige Tage waren meine Strafe, denn es dauerte sehr, sehr lange, bis ich wieder meine Füße benutzen konnte. So musste sich Einzelhaft anfühlen. Nicht ganz, denn meine Mutter verwöhnte mich mit Schokolade und Kaugummi. Auch nicht schlecht, oder ? 

Ein Land im Tauschrausch…

Woher meine Mutter Schokolade und Kaugummis hatte? Von den Amis natürlich. Im Tausch für etwas Anderes. Jeder tauschte, hamsterte und bettelte nach dem Krieg. Anders konnte man damals kaum an Essbares kommen. An Luxus wie Schokolade, Kaugummis, oder auch Zigaretten, schon gar nicht. Da gab es oft ganze Ketten von Tauschgeschäften, um an das zu kommen, was man begehrte. Denn meistens fanden sich nicht gleich die richtigen Tauschpartner. Also musste man über Bande spielen, wie beim Billard. Da zahlte sich wohl aus, dass meine Mutter auf einem Bauernhof arbeitete, denn damit hatte sie immer etwas zum eintauschen. Das ganze Land war im Tauschrausch. Nicht weil plötzlich alle Händler geworden waren, sondern weil man sonst nicht das bekam, wonach das Herz begehrte, oder um die Not zu lindern. 

So kam ich an Schokolade und Kaugummis. Also hatte mein Sprung, in die glühende Asche, doch noch was Gutes. Aber ohne die Schmerzen, hätte es mir sicher noch besser geschmeckt.

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Ex-Regierungspräsident von Rheinhessen-Pfalz Dr. Paul Schädler

  • Weihnachten 2020, habe ich dem damaligen Landrat, der das Pilotprojekt Schutzhilfe in den Landkreis Ludwigshafen holte und auch immer fördernd positiv unterstützte, mein Buch: „Tinas Tagebuch von Manfred Siebler“, mit Widmung zum Geschenk gemacht.

Schließlich war er es, ohne dem sein vorausschauenden Einsatz damals das Experiment SCHUTZHILFE (statt Heimunterbringung für ausgewählte Jugendhilfejugendliche eine Betreuung in einer eigenen Wohnmöglichkeit und das schon ab dem 15. Lebensjahr), nicht möglich gewesen wäre.

Ich hätte somit die wahnsinnig aufregend tolle alternative Betreuungszeit ein viertel Jahrhundert nicht erleben dürfen.

Das neue Jahr begann und ich bekam abends einen Anruf von dem schon erwähnten Dr. Schädler.

Mein Erstaunen war groß und wurde noch getoppt von dem was er mir sinngemäß mitteilte.

„Ich bedanke mich für das Geschenk und den so spannenden Roman über die Zeit der langjährigen Betreuung eines jungen Menschen in der Jugendhilfe im Kreis.

Ich finde ihn spannend geschrieben und freue mich, dass ihnen so ein gutes Werk gelungen ist.

Ich konnte mir gut vorstellen welche Probleme bei der jungen Dame und auch beim Betreuer zu bewältigen waren.

Wenn es die Corona-zeit wieder zulässt müssen wir uns einmal unbedingt zum Kaffee trinken treffen.“

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Kindheit im Exil

Ein Erlebnis aus meiner Kindheit in Bayern.

„Ratatatata… Ratatata… Ratatata“

„Achtung! Flieger von rechts!“

„Ratatatata… Achtung links!“

„Hurrraaa! Abschuss!“, tönte es lauthals aus den Kehlen der Kinder.

„Los! Da sind noch welche. Zeigen wir’s ihnen!“

Die wilde Meute spielte schon seit den frühen Morgenstunden mit den übrig gebliebenen 8,8 Zentimeter Geschützen der deutschen Wehrmacht, die immer noch in der Nähe des Flugplatzes von Manchingen standen. Bald sollte es von den Amerikanern genutzt werden.

Das gewaltige Rohr des Flugabwehrgeschützes, kurz Flak gennant, ließ sich mühelos in alle Richtungen drehen. 360 Grad. Auch hoch und runter, denn diese Flak war dazu da, um angreifende Bomber abzuschießen. Selbst die Gruppe der mageren Kinder, aller Altersklassen, hatten keine Mühe damit. Die Geschütze wurden nämlich elektrisch betrieben. Warum sie noch angeschlossen waren und niemand sie bewachte, war den Kindern in ihren abgerissenen Kleidern egal. Sie fühlten sich, wie in einem Freizeitpark. Es war ihr Spielplatz. Ein gefährlicher.

Die Kleineren mussten den Größeren was geben, um auf den Sitz des mächtigen Geschützes klettern zu dürfen. Das war heiß begehrt, denn man konnte nicht nur Soldat spielen, sondern fühlte sich wie auf einem Karrusel. Man konnte sich damit rundum drehen, bis einem schwindelig wurde.

Für die Kinder war es ein Abenteuer. Nicht nur, weil es ihre Erinnerungen der letzten Jahre widerspiegelte. Alle hatten die letzten Jahre nur Tod, Verwüstung und Elend erlebt. Viele waren Kinder aus ausgebombten Familien, die aufs Land verfrachtet worden waren. Wie ich. Nach Manchingen im Bayerischen. Sie hatten oft nicht mehr, als das, was sie auf dem Leibe trugen. Selbstverständlich auch kein Spielzeug. Da kam so eine mächtige Flak wie gerufen. Ein tolles, aufregendes Erlebnis, das die Jüngsten ihr Elend, vielleicht auch ihr Kriegstraumata, vergessen ließ. Zumindest zeitweise.

Aber auch ein gefährliches. Denn wer nicht mit dem Geschütz beschäftigt war, wurde losgeschickt um Munition zu sammeln. Die lagen überall herum. Vorzugsweise Granaten, die noch Pulver enthielten. Die waren begehrt, weil man mit dem Pulver etwas in die Luft jagen konnte. Die Kleinen, brachten die oft noch unversehrten Geschosse, den Größeren und durften dann aufs Geschütz. Zur Belohnung. Die Großen zogen mit einer Zange die Hülsen auseinander, um an das Pulver zu gelangen. Dass dabei nichts passiert war, kann man echt ein Wunder nennen.

Ein weiteres, noch gefährlicheres Spiel war es, den Zünder vom Geschoss zu trennen. Die Jungs trennten mit einer Zange das Geschoss vorne, von der Hülse und schütteten das Pulver dann in einen Behälter. Wenn sie genug beisammen hatten, legten sie eine ewig lange Zündstrecke. An einem Ende angezündet, ergab sie eine riesige Stichflamme, die sich wie ein Wurm am Pulver entlang wand. Alle gingen dabei in Deckung.


Wie in einem Schützengraben, warfen sich die Kinder zu Boden. Fühlten sich unverwüstlich. Andere der Waghalsigen brachten es fertig, die noch intakten Zünder mit einem Nagel und einem Hammer zur Explosion zu bringen und an das offene Pulver zu halten. Not macht erfinderisch. Das weiß man ja. Wie sie zuvor die Geschosse aufbekommen hatten, den Zünder ausschraubten, um das Geschoss herauszuhebeln, weiß ich nicht. Das war sicher saugefährlich. Aber als Kind hat man ja einen besonderen Schutzengel. Jedenfalls waren alle begeistert, wenn der Zünder explodierte und das Pulver sich entzündete.

Mitmachen durfte ich nicht. Ich habe alles nur aus der Distanz beobachten können. Denn ich war der Fremde. Der Zugezogene, der als einzigster kein Bayrisch sprach. Weggejagt hatten sie mich, wenn mich die Neugier zu nahe brachte. Ausgegrenzt. So, war es eben schon immer.

Amerikanische Soldaten haben uns dann verjagt. Doch alles abgebaut und mit riesigen LKW’s weg transportiert. Der Riesenspass war zu Ende.

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Straßburg

Eine Erzählung

Meine Familie ist in ihrer Zusammensetzung außergewöhnlich. Sie besteht aus eigenen und einer Reihe adoptierter Kinder, die sich aus unserer Aufgabe als Pflegefamilie ergaben. Diese Geschichte handelt von einer Halbschwester meiner Adoptivtochter.

Diese Halbschwester meiner Tochter, schreibt mich über Instagram an. Ich nenne sie meiner Erzählung Victoria. Auf Instagram tummeln sich ganz viele meiner Bekannten, Verwandten und Freunde, mit denen ich jedoch weder kommuniziere, noch Kontakt habe.

Daher war ich verwundert, als mich Victoria anschrieb und fragte, ob ich Hilfe brauche. Ich sei doch schon im vorgerückten Alter und da hätten doch viele Probleme ihren Alltag zu meistern. Genau genommen bin ich achtzig und noch rüstig. Dennoch hatte mich diese Anfrage nicht nur überrascht, sondern auch gefreut. Immerhin hatten wir seit rund 20 Jahren nichts mehr voneinander gehört.

Sie bot mir Hilfe an. Beim Einkaufen, Rezepte einlösen, oder andere Hilfestellungen, mit denen ich nicht alleine nicht klar käme. Eine Handynummer war beigefügt. Mir kam das Angebot wie ein Wunder vor. Wie kam Victoria zu solch einem Angebot?

Wir hatten so lange keinen Kontakt miteinander. Auch wenn sie schrieb, dass sie in Heidelberg arbeiten würde und sie mir auf ihrer Fahrt von und zur Arbeitsstelle problemlos Hilfe leisten könnte, war das für mich unvorstellbar.

„Wer hilft denn heute noch Menschen in Not, ohne jegliche Gegenleistung?“, dachte ich. Aber, das hatte mich so beeindruckt, dass ich mich mit Victoria zu einem Eiskaffee verabredet hatte. Aus dem Eiskaffee wurden dann drei angeregte Stunden, voller Informationen und dem Wunsch einen gemeinsamen Ausflug nach Straßburg zu machen. Wir hatten uns von Anfang an gut verstanden.

Die Zeit der Anfahrt nach Straßburg verging wie im Flug, so angeregt waren unsere Gespräche. Dann Tiefgarage und Spaziergang in der Altstadt, bei herrlichem Wetter. Es war August und wir waren beide sommerlich angezogen. Es war gut warm. So, wie es sich im Hochsommer gehört.

Daher war auf den Wasserkanälen Straßburgs mächtig was los, vor allem Ausflugsgäste im offenen Schiff, unendlich viele Brücken prägten das Bild. Dieser Flair war einfach herrlich. Es war, als wären wir in einem anderen Leben.

In der Fußgängerzone frühstückten wir mit Genuss und guten Gesprächen. Victoria aß ein Sesambrötchen mit Lachs, Milchkaffee und Orangensaft. Ich war etwas herzhafter unterwegs, mit einem Schinken Baguette, belegt mit Grünzeug, danach eine Schneckennudel, mit Kirschen und Zuckerguss. Natürlich durfte der Milchkaffee in den üblichen, großen Tassen nicht fehlen. Der französische Café au Lait. Während Victoria ihre Kopfbedeckung abgenommen hatte, behielt ich meine Batschkapp an. Meine Kopfhaut ist sehr empfindlich, sodass ich den Rat der Hautärztin beherzigte und stets eine Kopfbedeckung trug.

Das Straßburger Münster bot, trotz dem sonnigen Wetter, eine in Stein gehauene, trotzige, fast düstere, aber eindrucksvolle Kulisse.

Es war wunderschön durch die Gassen zu streifen, welche sehr gepflegte Fachwerkhäuser säumten. Idyllisch das Grün der Bäume, die Sträucher und Kletterpflanzen an den Häusern. Märchenhaft. Man fühlte sich fast wie in einem anderen Jahrhundert zurück versetzt. Dank der Fußgängerzonen.

In einen der Fußgängersträßchen aßen wir zu Mittag. Es bestand aus Flammkuchen, einer elsässischen Spezialität. Ein leichtes überaus schmackhaftes Essen, wozu bei mir ein Glas Rotwein und bei meiner Begleitung ein Glas Weißwein dazu beitrug, dass es besser rutschte.

Als ich von der Toilette zurück kam, vermisste ich plötzlich mein Handy. Es war verschwunden. Ich war mir absolut sicher, daß es vor meinem Gang zur Toilette noch auf dem Tisch gelegen hatte. Victoria war sich nicht sicher. Sie konnte sich nicht erinnern, es gesehen zu haben.

Oh je, wenn das jetzt weg war! Womöglich gestohlen. Vom Tisch weg. Das wäre ein teurer Ausflug. Victoria hatte schnell den richtigen Einfall und wählte meine Nummer, vielleicht klingelte es in unserer Nähe und alles hätte sich erledigt.

Es meldete sich eine weibliche Stimme auf Französisch. „Ah ha.“, dachten wir, da hatten wir die Täterin. Aber wie geht es jetzt weiter? Keiner von uns konnte französisch. Nach Sekunden der Sprachlosigkeit, hörten wir die unbekannte Stimme ins deutsche wechseln. Mit französischem Einschlag: „Sind sie diejenige Person, die im Käseladen eingekauft hat? Dann haben sie auch ihr Handy hier an der Theke liegen lassen!“

Was für eine Erleichterung, das Handy war nicht gestohlen! Und das geschah so:

Victoria suchte schon die ganze Zeit ein Spezialitäten Geschäft, in dem es Genüsse der Region gab. Wir hatten auch ein tolles Geschäft gefunden. Angefüllt mit vielerlei Käse, Wurst und Pasteten. Der Rest fand weniger unsere Aufmerksamkeit. Die Verkäuferin war sehr sympathisch und wir kamen ins Gespräch. Wir deckten uns mit Windschweinsalami, verschiedenen Käse Leckereien und Pasteten ein. Beim Bezahlen, musste ich mein Handy auf die Theke gelegt und es einfach vergessen haben.

So etwas konnte in meinem Alter schon einmal passieren, wenn ich abgelenkt war. Bei Hitze sowieso, denn die Temperatur hatte mittlerweile 30 Grad überschritten. Aber es war ja noch mal alles gut gegangen.

Erschöpft von der Aufregung, der Hitze, standen wir auf einem großen Platz hinter dem Münster und schauten sehnsüchtig einigen Springbrunnen zu. Sie schossen, in zwei Reihen angeordnet, ihre kühlenden Wasserfontänen, direkt aus dem gepflasterten Boden in die Höhe. Eine Menge an Menschen erfreute sich an dem Schauspiel. Aber keiner lief hindurch.

“Da geht’s jetzt durch, als wenn es keine Fontänen gäbe.“, sagte Victoria plötzlich. „Auf Freddy, sei kein Frosch!“.

Zuerst dachte ich, die spinnt ja! Wir sind doch keine Kinder. Aber sie ließ nicht locker. Da vergaß ich mein Alter, die Leute um uns herum und so spazierten wir zusammen durch’s kühle Nass. Ganz langsam, als würden wir flanieren.

Die Zuschauer hatten sich nicht mehr ein gekriegt. Wir boten ja auch etwas. Meine kurze, bräunliche Hose, mein schönes, blaues Hemd, der Rucksack, die Schuhe und die Strümpfe, alles war in Sekunden klitschnass. Durchweicht, als wäre ich in eine Badewanne gestiegen. Ich sah aus, wie ein gerupftes Huhn. Victoria genauso.

Dennoch lachten wir wie verrückt, so etwas musste einem erst einmal einfallen. Dank der Sonne waren wir innerhalb kurzer Zeit wieder trocken gelegt. Es war ein toller Tag an den ich noch heute gerne zurück denke. Dank Victoria.

Aber es gab noch eine Überraschung, als mich Victoria am frühen Abend daheim absetzte. Mein spontaner Ausflug nach Frankreich war nicht unbemerkt geblieben. Ausgerechnet in der Zeit, als ich mein Handy im Käseladen vergessen hatte, rief mich meine Schwiegertochter an und war völlig aus dem Häuschen unerwartet eine Französin am Telefon zu haben.

Daher wusste nicht nur meine ganze Familie, wo ich gewesen war, sondern ich hatte auch aufzuklären, wer denn diese fremde, französische Frau an meinem Handy gewesen war.