Mit meinen Jugendlichen waren wir 14 Tage auf einer Freizeit bei Pisa. Mit zwei kreiseigenen VW-Bussen, 18 Jugendlichen, 3 Zelten (2 Mannschaftszelte , Männlich und Weiblich getrennt und ein Betreuerzelt)“. Ein Tagesausflug nach Rom sollte den Jugendlichen ermöglicht werden, welche Interesse daran zeigten.
Die Fahrt von Pisa nach Rom war eine große Herausforderung, sollte es doch bald 4 Stunden die 380 Kilometer zu überwinden. Sieben Jugendliche waren begeistert von der Möglichkeit Rom sehen zu dürfen. Wir BetreuerInnen eigentlich auch. Die Anderen wollten sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Um 03:30 Uhr in der Frühe wollten wir nach Rom aufbrechen.
Der Abend zuvor gestaltete sich stressig, die Jugendlichen waren wie besessen und es gab eine Aufregung nach der anderen. Bis wir zum Schlafen kamen, war es weit nach Mitternacht. Die Kollegin, die eigentlich mitfahren wollte, sagte kurz vor der morgendlichen Abfahrt ab, da sie von der letzten Nacht zu zermürbt sei. Also fuhr ich alleine mit meinen „glorreichen Sieben“ ins altehrwürdige Rom.
Die Hinfahrt war sehr ruhig, die mitfahrende Mannschaft schlief. Glück gehabt, dachte ich schon. Ich war, an dem Tag, auch nicht gerade der Munterste. Kurz vor Rom, ein Krach als hätte ein Blitz eingeschlagen und die Frontscheibe war zerborsten. Warum? Wie wussten es nicht. Ob wegen der äußerst schlechten Fahrbahn, oder deshalb weil beim Be- und Entladen Jugendliche auf dem Dach anpackten und es deshalb zu Verspannungen an der Statik kam, war uns nicht klar. Was tun, jetzt?
Guter Rat ist, wie immer, teuer. ADAC anrufen ? Wir beratschlagten, dann entschieden wir uns das Risiko einzugehen weiter zu fahren. Auf der Standspur, mit geringer Geschwindigkeit, versuchten wir uns in Rom einzuschleichen. Oder anzuschleichen? Egal, wir hofften dort eine Werkstatt zu finden, welche den Schaden beheben konnte. Das war vielleicht eine Fahrerei. In der zerborstenen Scheibe, die in sich noch stabil war, gab es Lücken, durch die ich die Fahrbahn sehen konnte.
Oh Wunder, bevor wir die Großstadt Rom richtig erreichten kam das wundersame Schild „VW-Vertragswerkstatt“, es war nicht zu glauben. Das nächste Wunder war, dass sie die Scheibe zwar irgendwo beschaffen mussten, aber diese bis spätestens 11 Uhr eingesetzt haben wollten. Aber was wundern, wir waren ja in der heiligen Stadt. Da gab es sicher an allen Ecken und Kanten Wunder, oder?
Mit vielen Tassen Kaffee hielten wir uns wach, denn das frühe Aufstehen und die Aktion kaputte Scheibe, hatte uns allen ungemein zugesetzt. Die Reparatur wurde fast pünktlich fertig, ich glaube 1000 DM war zu berappen.
In Rom haben wir die spanische Treppe, das Kolosseum, den Trevi Brunnen, die Vatikanstadt, mit Petersdom und vieles mehr besucht. Die Leute waren motiviert, wie ich sie selten erlebt hatte. Auch fanden wir, erstaunlicherweise, immer schnell einen Parkplatz, sodass wir keine langen Wege vor uns hatten. Das hob von sich aus die Stimmung.
Gegen 20:00 Uhr traten wir die Rückreise an. Total geschafft, aber glücklich und zufrieden. Es hatte allen bombastisch gut gefallen. Die „ewige Stadt“ wird wohl ewig toll in ihrer Erinnerung bleiben. In Gedanken waren wir schon auf dem Campingplatz bei den Anderen.
Als wir durch die kleine Stadt Grosseto fuhren, war es fast stockdunkel. An einer Kreuzung war ein Schild durch einen herunter hängenden Ast verdeckt so dass ich es nicht sehen konnte. Als ich nach links sah, erkannte ich weit hinten, die Lichter eines Autos. „Das schaffe ich locker“, dachte ich. Der VW-Bus war neu, hatte einen Anzug wie ein PKW, und ich wollte mit viel Gas über die Kreuzung huschen, da geschah es. Ein irrsinniger Krach, der Bus drehte sich nach rechts, überschlug sich, kam auf dem flachen Dachgepäckträger auf, der das gesamte Dach überspannte und wir schlitterten, wie auf Kufen, quer über die Kreuzung.
Ich hatte keine Ahnung, was geschehen war. Auch der Höllenlärm irritierte mich, bis ich begriff, dass sich das Gaspedal wohl verklemmt hatte und der Motor auf Hochtouren lief. Ich wusste auch nicht, wie wir alle aus dem Fahrzeug gekommen waren. Wie ein Wunder waren wir jedoch alle unverletzt. Außer einer Jugendlichen, die ich am Straßenrad sitzend vorfand. Sie sah aus, als hätte sie einen Nervenzusammenbruch.
Plötzlich war es taghell, ein Chaos, eine Unmenge Menschen standen um uns herum, keine Ahnung, wo die alle hergekommen waren. Vor dem Unfall war die Kreuzung menschenleer gewesen. Es war ja mitten in der Nacht.
Fast wie bei einer geplanten Übung rasten Feuerwehr, Krankenwagen, Polizei, Abschleppwagen heran, alles voller Blaulicht um uns herum. Die mit tollen Uniformen ausgestatteten Beamten hatten mich schnell als Fahrer am Wickel und nahmen mich auf die Seite, dass ich einen Fragebogen ausfülle sollte, was ein deutsch sprechender junger Mann, ein italienischer Student, der Germanistik studierte, mir übersetzte.
Plötzlich kam ein anderer Polizeibeamter, der aus einem mit Blaulicht angerasten Wagen stieg, der auf dem Gehweg stoppte, nahm mir das Schreibbrett aus der Hand und gab mir ein neues Brett mit einem neuen Fragebogen, das ihm ein anderer Polizist gab. Es schienen verschiedene Polizeieinheiten zuständig sein zu wollen, denn die zuerst erschienen Beamten stritten sich mit den Neuankömmlingen. Diese schienen aber den Kürzeren zu ziehen, denn sie gaben auf und fuhren weg. Das wäre filmreif gewesen, wenn wir nicht so erbärmlich durchgerüttelt worden wären.
Der Student übersetzte und meinte ich sollte den Fragebogen so schnell als möglich ausfüllen, denn um 24 Uhr sei Schichtwechsel. Wenn bis dahin nicht alles geklärt sei, käme ich erstmal für 24 Stunden in Polizeigewahrsam.
Diese Vorstellung riss mich aus meiner Lethargie und ich fiel in Stress ohne Ende. Die Jugendlichen hier, ich in der Zelle und weiter? Ich bat die Beamten telefonieren zu dürfen, dass meine Kollegin informiert wird und hier im Notfall die Jugendliche abholen kommt. Die Polizisten sagten mir ein paar hundert Meter weiter sei der Bahnhof, dort könne ich sicherlich deren Diensttelefon benutzen und die Kollegin anrufen. Sollte ich in 15 Minuten nicht wieder hier sein, würden sich mich zu Fahndung ausschreiben.
Der dolmetschende Student ging freundlicherweise mit und so durfte ich meine Kollegin in dem ca. 180 km entfernten Campinglatz anrufen. Glück, dass sie sich noch nicht über das eingeschenkte Glas Rotwein hergemacht hatte, sonst hätte sie nicht hierher fahren können.
Auf der Wache erregte ich mich ungemein. Die Beamten hatten mich trotz meinem Sträuben in ihr Fahrzeug geschoben und in ihre Wache verschleppt. Durften die das? Was geschah mit meinen Jugendlichen? Was mit der Jugendlichen, welche schwanger war? Wann kam meine Kollegin und woher erfuhr sie, wo ich war. Alles unklar und ich wurde hier festgehalten. Es stellte sich dann schnell heraus, dass die schwangere Jugendliche mit dem Rettungsfahrzeug ins Krankenhaus gefahren wurde, da sie starke Schmerzen hatte und die Jugendlichen vor der Wache auf mich warten würden. Das ging mir alles durch den Kopf während der vernehmende Beamte mich unflätig anmachte: „Kein Personalausweis, keine Fahrzeugpapiere und die Aussage, der Bus sei über die Kreisverwaltung versichert, also keine Versicherungspapiere deshalb vorhanden seien.“
Alle deutsche Fahrzeuge haben eine Versicherung, da sei er sich sicher, ich wollte wohl alles verschleiern und sie hier „verarschen“. Ich soll schon anfangen zu beten, denn wenn sie nach Hause gehen würden, nach Schichtwechsel, könne ich ihre Zellen kennenlernen. Wo sei denn die Kollegin mit den entsprechenden Papieren von mir? Von wegen Pisa? Er würde schon einmal veranlassen, dass die draußen wartenden Jugendlichen übergangsweise in ein Jugendheim kämen, bis alles geklärt sei und das könne ja dauern bis sie wieder zum Dienst antreten würden.
Als die Mannschaft gerade ihre Schicht den Kollegen übergeben wollten, geschah das erlösende Wunder in Form der Kollegin. Vor allem mit den Papieren, welche sie dabei hatte. Alles klärte sich damit auf.
Die Jugendliche, die wir im Krankenhaus aufsuchten, hatte einen Finger gebrochen, ihrem Kind war nichts geschehen, doch sie berichtete, dass alles in heller Aufregung stand, als ich einem Polizisten am Unfallort mitteilte er sollte sofort das Krankenhaus benachrichtigen, weil die junge Frau schwanger sei. Bei der Übersetzung kam es bei dem Beamten so an, als hätte sie bereits ein Kind, das vermisst würde. Eine fieberhafte Suche nach diesem Phantom-Kind begann. Erst bei der Erstuntersuchung klärte sich der Sachverhalt auf, da der untersuchende Arzt das Embryo auf dem Bildschirm sah.
Was war das für Nacht! Was noch alles daraus folgte, würde diese Rom-Kurzgeschichte bei weitem sprengen.