„Spieß! Spieß! He Spieß! Schnell, schnell, Alarm, ich muss dringend, schnell!“, hörte ich, noch in einem wirren Traum gefangen, jemanden rufen. Aber ich wollte, ich konnte mich nicht rühren. Es war so schön warm. So behaglich.
Dann stöhnte der Fremde: „Mein Gott, komm schon.“ Da wusste ich, es war kein Traum, diese Stimme kannte ich. Es war mein Chef. Plötzlich wurde alles klarer. Wir lagen in einem Zelt, es war saukalt, sicher einiges unter 10 Grad. Minus! Es war tiefster Winter und wir waren im Manöver. Beim Heuberg auf der schwäbischen Alb. Ich war der „Spieß“ einer Ausbildungskompanie der Bundeswehr. Und neben mir lag, tief vermummt, der Kompanieführer, ein Hauptmann, mein Chef.
„Ich komm schon. Komm schon Chef!“, rief ich, immer noch verschlafen, dennoch seltsam gespannt. Was war denn los? Wurden wir überfallen? Kam der Feind?
Mühsam versuchte ich mich aus dem dicken, gefütterten Schlafsack, den ich bis oben hin geschlossen hatte, zu befreien. Zusätzlich, zu den zwei Lagen Unterwäsche, hatte ich mich in einer Decke eingewickelt, um nicht zu erfrieren. Ich war nicht so der stahlharte Typ. Mochte es lieber warm und behaglich. Draußen im Feld, nur abgeschirmt durch hauchdünnes Zeltleinen, bei Minus zehn Grad und mehr, geht das nur, indem man eine Schicht über die andere legt. Wie eine Zwiebel. Schicht um Schicht. Daher dauerte das alles etwas länger. Das ganze Gelump gab warm, machte aber auch extrem unbeweglich.
Durch das diffuse Zwielicht unserer Funzel, sah ich meinen Nachbarn und Kompaniechef zappeln, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Dabei stöhnte er zum Erbarmen. Was war denn nur los mit ihm?
„Mach schon Mann, ich muss pissen!“, stöhnte er jetzt jämmerlich. „Ich kann‘s nicht mehr halten!“
Fast hätte ich gelacht, denn es sah wirklich urkomisch aus, wie sich mein Kompaniechef wand und dabei zappelte. Aber das Glucksen verkniff ich mir. Eisern, denn wir kamen an sich ganz gut miteinander klar. Aber er war der Chef und wie alle Chefs extrem empfindlich.
Als Spieß, die Mutter der Kompanie, war ich für alles zuständig, was die kämpfende Truppe am Leben hält. Besser gesagt, ich musste alles beschaffen, was sie brauchten, um kämpfen zu können. Allem voran Essen und Trinken natürlich. Aber auch alles Andere. Mein Chef ließ mir freie Hand dabei und das war viel wert. Das wollte ich mir unter keinen Umständen verscherzen.
„Ich komme, ich komme Herr Hauptmann!“, rief ich daher nochmals und schälte mich, aus den letzten Lagen, meines selbst gemachten Kokons heraus.
Warum machte es der neben mir Zappelnde nicht genauso, fragt sich der*die geneigte Leser*in sicher?
Ganz einfach. Mein Chef, war noch verfrorener als ich und hatte sich von mir in zwei dicke Decken einwickeln lassen. Um den Schlafsack drumherum. Er kam also gar nicht an den Reißverschluss seines Schlafsacks heran. Seine Arme waren dadurch fest an seinem Köper gebunden. Er konnte sich nicht selbst befreien.
Das war unser tägliches, nächtliches Ritual. Ich war schließlich die „Mutter“ der Kompanie. Den Hauptmann zusätzlich in dicke Decken zu wickeln, war eine meiner Aufgaben in diesem Wintermanöver. Natürlich nahm es mein Chef damit etwas zu wörtlich. Das mit der Mutter, meine ich. Aber was sollte ich tun, ich musste ihn bei Laune halten. Ich hatte ja meine Vorteile davon. So war das eben.
Alles hatte bisher gut geklappt, aber gestern hatten wir ein „befohlenes“ Besäufnis, bei dem das Bier in Strömen floß. Das gab selbstverständlich zusätzlichen Druck auf die Blase und nun hatten wir das Malheur.
Ich also raus aus meinem Schlafsack, rüber zum Chef, der sich selbst nicht befreien konnte. Ich hatte ihn zwiebelmäßig, Lage um Lage, mühevoll eingepackt. Genauso mühevoll und zeitaufwändig, musste ich ihn nun entblättern. Zwei Decken um den Schlafsack. Im Schlafsack eine weitere Decke. Dann hatte er das langarmige Unterhemd an, darüber vom Trainingsanzug das Oberteil, zwei lange Unterhosen und noch die Trainingshose.
„Schneller! … Los, ich kann’s nicht halten, Spieß … avanti… avanti…“
Selbstverständlich war ich nur für die Decken und den Reißverschluss des Schlafsacks zuständig. Es kostete mich einige Mühe den hippeligen Offizier auszuwickeln. Dabei kamen wir uns fortlaufend in die Quere. Weil er sich schon mit der Decke im Schlafsack beschäftigte. Als ich ihn endlich befreit hatte, zischte er wie eine Rakete aus dem Zelt. Sich ihm Laufen, von seinen anderen Sachen befreiend.
Nun saß ich da, in unserem rund 16 Quadratmeter großem Zelt. Zwei Öfen, die nur noch klimmten, ein kleiner Tisch, zwei Klappstühle und Seesäcke mit unseren Klamotten. Ein Ofen verbreitete noch etwas Wärme, aber ich zitterte dennoch wie Espenlaub. Ich hoffte, dass er es noch geschafft hatte. Aus mehreren Gründen. Und ich hoffte, dass er nicht einem unserer Wachleute über den Weg lief. Das gäbe wohl ein Gelächter, wenn das im Lager die Runde machte. Ein halbnackter Hauptmann, der in dunkler Nacht, wie ein wildgewordener Pavian, zum Toilettenhäuschen stürmte. Das wäre was.
Total erfroren, zitternd und mit blau angelaufenem Gesicht, kam Herr Hauptmann zurück. Ohne ein Wort zu verlieren, ging das Ganze, in umgekehrter Reihenfolge, wieder zurück.
Kaum zu glauben, ich war noch nicht ganz fertig, da schnarchte er schon wieder. Ich glaube er war die ganze Zeit noch im Halbschlaf gewesen. Genug intus hatte er, das wusste ich.
Nur ich, ich war jetzt hellwach.