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Das Weihnachtsbild

Weihnachten war für unsere Familie schon stressig, bevor die Feiertage begannen und ihren Tribut forderten.

Meine Frau und ich wollten schon immer eine große Familie. Was mich anging, hatte ich keine Ahnung, was das in der Realität heißen würde. Meine Frau jedoch, hatte sieben Geschwister und damit mehr Erfahrung. Allerdings nur, mit Schwestern und Brüder, nicht in der Rolle als Eltern. Obwohl, also beide unerfahren, in Bezug auf das Führen einer Großfamilie, entschieden wir uns für den Trubel und viel Familie.

Obwohl dies schon in unserer Zeit ungewöhnlich geworden war. Manche Mitmenschen fanden es nicht so toll. Bei einem Spaziergang hörte meine Frau gar die Bemerkung einer anderen Frau: „Diese Itaker, mit ihrem Stall voll Kinder! Muss das denn sein?“ Dies drückte die damalige Einstellung in der beginnenden Wohlstandsgesellschaft gut aus.

Wie man uns in dieser Kategorie einordnete, war mir absolut schleierhaft, aber zurück zum Weihnachtsbild.

Sechs Kinder, vier Schwiegertöchter/söhne und zwei Enkel harrten einmal wieder Weihnachten entgegen. Dass wir so toll einen auf Familie machten, sollte alle Welt sehen und wie ging das am besten in den achtziger Jahren?

Richtig, eine Weihnachtskarte. Mit einem Familienfoto, die wir jedes Jahr an möglichst viele Bekannte, Verwandte und Kollegen sandten. Alle sollten sehen, mit welcher  Prachtfamilie sie verbunden waren. Hört sich ganz einfach an, oder?

Man nehme einen Fotoapparat, ein Stativ, alle stellen sich davor, das Bild im Kasten und ab zu der Firma geschickt, welche dann das fertige Produkt verschickte. Die Kuverts waren dabei,  Adresse, Absender, Briefmarke und alle freuten sich über den Anblick einer glücklichen Familie auf der Weihnachtskarte.

Aber so einfach lief das selbstverständlich nicht ab. Die Herausforderung fing schon bei dem Finden eines Fototermins an. Wie bekommt man es terminlich hin, wenn fünf Haushalte betroffen sind, neun Mitglieder der Familie verschiedene Arbeitgeber und somit entsprechend unterschiedliche Arbeitszeiten hatten. Zudem war nicht jeder der Teilnehmer begeistert davon. Hielt es gar für „Unsinn“.

Mehrere Termine wurden ins Auge gefasst. Kurzfristig wieder verworfen, weil einer, oder gar weitere unerwartet aus den verschiedensten Gründen heraus nicht konnten? Manchmal war es so, dass alle schon die Aufstellung für den großen Augenblick probten und der Fehlende plötzlich anrief, um abzusagen. Was war das dann für eine Diskussion, ob das Bild auch ohne das Familienmitglied gemacht werden sollte, oder nicht. Wobei der Absagende, manchmal froh gewesen wäre, wenn das Foto ohne ihn zustande gekommen wäre. Man könne ja ein separates Bild von ihm der Karte beifügen, wenn es denn sein musste. Die digitale Fotografie und das Programm Photoshop waren noch nicht erfunden. Also ein einfügen im nachhinein war damals noch nicht möglich.

Meine Frau war jedoch der Meinung, alle, oder keiner. Die Karte, nach dem ganzen Theater, ersatzlos streichen, nein und nochmal nein. Also: verschieben, neuer Anlauf.

Obwohl mehre in der Familie es kaum glauben konnte, das Wunder geschah und alle, nebst dem Border Collie „Franky“, fanden sich in unserem Wohnzimmer zusammen. Die Regie übernahm ich, doch die Protagonisten wollten sich einfach nicht fügen, vor dem großen Fenster zum Garten hin, vor dem zugezogenen Vorhang zum Esszimmer, um die Couchgarnitur gruppiert, oder vor der imposanten dunklen Bücherwand?

Die Mehrheit stimmte schließlich für die Bücherwand.

Aufstellung davor, der Zeit Auslöser und fertig?

Nein, wo war der Hund geblieben?

Aus dem Gang geholt, wo er seine Futterschüssel weit interessanter fand, als das blöde Getue im Wohnzimmer, vor die drei Kleinsten gesetzt, die das Bild nach vorne abgrenzten, wo er von der jüngsten Tochter zwischen die Beine genommen wurde.

Der Einwand, so komme er doch gar nicht aufs Bild, hatte zur Folge, dass ich erneut durch den Sucher des Fotos lugte und tatsächlich Franky war nicht zu sehen, er war nach unten abgerutscht. Erneut ein Bild, da hielt es der Hund nicht mehr vor der Tochter sitzend, aus und wieder war er weg.

Neuer Anlauf, Frauchen von Franky, meine älteste Tochter, nahm ihren Hund auf den Arm und so konnte er nicht mehr entwischen.

Durch das Blitzlicht hatten einige von uns die Augen zugemacht. Wieder nichts. Erneuter Anlauf.

Das Telefon klingelte und ich erwartete eigentlich einen dringenden Anruf vom Dienst, eine verschwundene Jugendliche, die ich ambulant betreute, wollte sich nach einer Mitteilung eines anderen, von mir betreuten Jugendlichen, melden wo sie sich aufhielt, also schnell mal ans Telefon, bevor die junge Dame wieder auflegte.

Die wievielte Unterbrechung das war weiß ich gar nicht mehr, nur dass mein ältester Sohn die Schnauze voll hatte und ankündigte er gehe jetzt. Die Nerven lagen blank. Ich sprach mit der Jugendlichen, die sich aus einer Bar heraus meldete und durchgab, wo ich sie abholen konnte. Dennoch hörte ich mit dem anderen Ohr den Aufruhr in meiner Familie, bei der die Frau vom „Ältesten“ alles aufbot, um zu verhindern, dass ihr Mann „sich vom Acker“ machte, wie sie sich ausdrückte. Ihre Bemühungen, vom Rest der Familie unterstützt, hatte Erfolg, so dass er für einen weiteren Versuch zur Verfügung stand. Endlich das Foto war im Kasten.

Was für ein Wunder, das Bild war fertig, alles gut oder?

Als die Karten, kurz vor Weihnachten eintrafen, sahen wir erst die Bescherung. Im linken Teil des Fotos war noch reichlich Platz. Niemand stand, oder saß dort. Der kleinste Enkel unterhielt sich, so sah es jedenfalls auf dem Bild aus, mit seiner Oma. Die kleinste Tochter, neben ihm stehend, hatte die Augen zu. Die Schwester des „Omakuckers“ schaute Franky, den Hund an. Der älteste Sohn, konnte sich nicht zu einem freundlichen Blick durchringen  und der zweitälteste Sohn, mit Frau, war an den rechten Rand gequetscht, gerade noch so erkennbar.

Das war das Ergebnis unserer jährlichen, aufwändigen Familiengeschichte.

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