Wir waren im Sitzungssaal des Kreis Jugendamtes versammelt. Eine Erziehungskonferenz, in der fachübergreifend über Probleme gesprochen wurde. Wieder einmal. „Wir“ waren die Sozialarbeiter des Jugendamtes. Es ging um dies und das. Dieses Mal auch um zwei Beförderungen. Ein Sozialarbeiter vom Pflegedienst und ich von der Schutzhilfe wurden zum Oberinspektor ernannt. Jetzt waren wir sowas wie der Oberinspektor Derrick von der damals weit bekannten Krimiserie. Vor allem aber bekamen wir ein höheres Gehalt.
Darauf musste natürlich angestoßen werden. Der anschließende Sektumtrunk beflügelte unsere Stimmung. Der beförderte Kollege bat plötzlich um Gehör, es wurde still und alle spitzten die Ohren. Was wurde da verkündet?
„Alle herhören! Wie ihr wisst, sind wir mit dem Pflegekinderdienst und den Pflegeeltern mit ihren Kinder in Tirol. So wie jedes Jahr. Weil ich heute befördert worden bin und mich freue wie Bolle, lade ich dort alle, die das auf sich nehmen wollen, zu einem tollen Essen in einem hervorragenden Restaurant ein. Natürlich auf meine Kosten. Bin gespannt, ob sich jemand von euch aufmacht und mit mir dort feiern möchte.“, sagte er und sonnte sich darin, wie alle Kollegen und Kolleginnen dies mit Klatschen honorierten.
Das konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen. Der Sekt, die euphorische Stimmung, waren eine gefährliche Mischung und so stand auch ich auf.
„Ja, und wer dann noch nicht genug hat vom kollegialen Zusammensein, der kann sich aufmachen und auf meine Kosten in den Sommerferien in Paris dasselbe erleben. Wir sind mit der Schutzhilfe dort. Ein Zwischenstopp auf der Fahrt nach La Rochelle.“, verkündete ich.
Hatte ich das jetzt wirklich gesagt? Oder träumte ich? Was hatte mich da geritten?
Meine Euphorie dauerte nicht allzu lange. Schon bald kam Ernüchterung und die ersten Bedenken. Diese schob ich jedoch konsequent zu Seite.
Mal ehrlich, wer sollte schon wegen einem Essen und sei es noch so toll, extra nach Paris fahren? So verrückt war hier doch niemand. Meinem Kollegen wird es in Tirol nicht anders gehen. So kann man sich beliebt machen und es kostete noch nicht einmal was.
Aus den Augen, aus dem Sinn. Der Spruch traf in jedem Fall auf mich zu. Ich hatte das Ganze schnell verdrängt. Was sind schon Worte. Der Alltag in der Schutzhilfe hatte mich fest im Griff.
Das Erste, was mich erstaunte war, dass mein Chef darauf bestand die 2 Tage in Paris mit der Schutzhilfe verbringen wollte. Na ja dachte ich mir, er ist ja immerhin der Jugendamtsleiter und als solcher sehr an solchen Aktivitäten interessiert. Er war auch schon bei einer Freizeit der Schutzhilfe in Korsika m it dabei. Sogar bei der ersten Freizeit der Schutzhilfe, in St. Maris-de-la-Mer, war er dabei. Also nichts Ungewöhnliches.
Mit zwei VW-Bussen der Kreisverwaltung ging es ab nach Paris. In einem Vorort hatten wir einen Campingplatz reserviert, der in unmittelbarer Nähe einer U-Bahn lag. Nach Aufbau der beiden Zelte, ging es mit der Bahn in die City. Alle waren mit dabei. Die Kathedrale Notre Damewar ein Ziel, dass meinem Kollegen besonders am Herzen zu liegen schien, kamen wir doch kaum davon los. Mein Chef hielt uns auch sehr auf. Das kam mir langsam spanisch vor. Wir waren alle ziemlich geschafft, hatten wir doch schon alles hinter uns. Den Eifelturm, die Sacre‘-Cour, den Montmartre, den Arc de Triomphe und die Champs-Elysees. Daher bestand ich darauf, dass wir einen Kaffee, oder eine Cola trinken sollten. Auch wenn es sicher nicht billig war. Doch fertig wie ich war, ging nichts mehr.
Wir kehrten in ein Café ein, das sich schlauchartig in die Länge zog. Alles egal, die Hauptsache ich konnte mich etwas erholen. Der Eingang lag in meiner Blickrichtung, daher bemerkte ich, dass mein Kollege mehrmals nach draußen ging. Das war seltsam, aber mein Chef und die ganze Rasselbande beschäftigten mich derart, dass ich keinen weiteren Gedanken daran verschwendete.
Der Kaffee tat richtig gut, das Wasser dazu war erlabend. Ich lebte wieder auf. Mein Blick zum Eingang war ein wenig getrübt, aber plötzlich, als würde die Linse scharf gestellt, denn was ich da sah irritierte mich kolossal, kam doch tatsächlich das halbe Jugendamt auf mich zu. Lachend, winkend und ausgelassen, dass alle Gäste des Lokales in ihre Richtung sahen. Was war das denn? Ein Traum?
Wie ein Blitz durchzuckte mich der Gedanke, dass diese gekommen waren wegen des Einlösens meines längst vergessenen Versprechens. Ein fürstliches Essen mitten in Paris, um meine Beförderung zu feiern. Was war ich doch für ein Depp! Das hätte ich mir doch denken können. Und – was jetzt?
Nach der Begrüßungseuphorie stellte sich heraus, dass mein Kollege, in Zusammenarbeit mit dem Chef, hinter dieser Überraschung steckten. Sie hatten die Planung übernommen. Alles generalsstabsmäßig ausgeheckt, wie die Besucher auf mich treffen konnten. Zusammen mit dem Freund einer meiner Jugendlichen, der auch auf dieser Freizeit der Schutzhilfe dabei war und auf dem Campingplatz die Aufsicht für die Stunden unseres Essen übernahm. Er war Mitte 20 und in der Ausbildung zum Meister unterwegs, sodass es schon zu verantworten war.
So lief es dann auch ab, wir waren unter uns, die Jugendamtsmitarbeiter, der Chef und ich. Die Planung sah vor von der Insel, auf der die Kathedrale Notre-Dame stand, über eine kleine Brück in ein Sträßchen zu gehen, in dem wir nach kurzer Zeit den unscheinbaren Eingang zu dem bekannten und angesagten Restaurant „Der Gallier“fanden.
Erst ging es im Erdgeschoss an einem Buffet vorbei, wo allerlei zu bestaunen war in seiner Vielfalt. Hier wurden den Gästen Leckereien in rauen Mengen und verschiedener Ausgestaltung dargeboten. Man bekam schon vom Betrachten Appetit ohne Ende. Mehrere Fässer folgten, an denen sich mehrere Besucher mit irdenen Krügen zu schaffen machten. Alles wirkte sehr rustikal und urwüchsig.
Im Untergeschoß war ein Tisch für uns reserviert. Es ging los. Die als Gallier kostümierten Kellner brachten 3 Körbe mit frischem Gemüse. Baguett, Butter, gekochte Eier, Radieschen, Rettig, usw. Als Vorspeise. Beim Hauptgericht konnte man wählen. Ich hatte mich für Lammkoteletts mit Beilagen entschieden. Als Nachtisch gab’s Käseplatte. Wein floss ich Strömen. Dazu musste immer abwechselnd ein Anderer mit leerem Krug nach oben gehen und an den Fässern nachfüllen. Das war eine Gaudi.
Die Stimmung war bombastisch und gipfelte im Singen der Internationalen. Schon interessant bei einer Kreisverwaltung, die von einem schwarzen Landrat und schwarzen Mehrheit im Kreistag dominiert wurde. Ernüchtert zahlte ich die über 1.500 französische Franc mit zwei Euroschecks. Laut singend verließen wir den Gourmettempel.
Gelernt hatte ich daraus, dass es durchaus von Vorteil ist zuerst zu überlegen, bevor man etwas von sich gibt.