Ja, ich hatte die beste Mutter der Welt, dennoch war meine Kindheit durch die turbulente Weltgeschichte, mit dem irrsinnigen 2. Weltkrieg und dessen Folgen, belastet.
Ausgebombte Wohnung in Pforzheim, evakuiert nach Manching in Bayern und stufenweise Rückkehr nach dem Krieg in Richtung Pforzheim, landeten wir erst bei der Oma, väterlicherseits in Reutlingen und dann in Karlsruhe bei Onkel, Tante und Cousine.
Um in eine andere Stadt umziehen zu dürfen, benötigte man eine Arbeitsstelle und einen Mietvertrag, die Freizügigkeit war eingeschränkt, im neuen Grundgesetz sowieso erst 1949 festgelegt.
Meine Mutter und ich erfüllten die Voraussetzungen zum Umzug von Reutlingen in die Nähe von Pforzheim, wo Wohnraum durch die Totalzerstörung mehr als knapp waren: Arbeitsplatz „Dienstmädchen“ und Wohnung „1 Zimmer und „Dachstube“ im herrschaftlichen Haus der Verwandtschaft.
Die totale Ausbeutung der Arbeitskraft meiner Mutter, Diskriminierung, Nichtachtung ihrer Persönlichkeit, führten schnell dazu, dass es zum eklatanten Krach zwischen uns kam.
Der Lohn für die achtzig Stundenwoche, sollte das Erlassen der Miete sein. So war das nicht vereinbart. Meine Mutter kündigte das Arbeitsverhältnis und verdiente ihr Geld für unseren Unterhalt durch Putztätigkeiten in Karlsruhe. In ihrem erlernten Beruf der Goldschmiedin, gab es keine Verwendung in der Beamtenstadt.
Krieg im Hause der enttäuschten Schwägerin und ihres Mannes war vorprogrammiert. Wir wurden zur PERSONA NON GRATA und sollten sofort ausziehen, zu undankbar seien wir. Aber wohin ziehen? Gerne sofort, nichts lieber als das, doch weder in Karlsruhe, noch in Pforzheim trug uns jemand eine Wohnung an.
Krieg mit ungleichen Mitteln begann, davon 3 Aktionen unserer Verwandten sollen verdeutlichen, wie sie versuchten uns schnell los zu kriegen.
Einen eigenen Wohnungseingang hatten wir nicht. Unsere Wohnungstüre ging auf den gemeinsamen Gang, den wir mit unseren verwandtschaftlichen Vermietern Uhrmachern teilten. Auf diesem Stock arbeiteten die Beschäftigten meines Onkels, der eine sogenannte Uhrenfabrik für exklusiven Uhren hatte.
Vor dieser Türe standen eines Tages zwei uniformierte Polizeibeamte mit einem Hausdurchsuchungsbefehl. Grund dafür war eine Anzeige meines Onkels gegen uns, wegen Diebstahls. Mehrere wertvolle Uhren seien von uns aus der „Fabrik“ entwendet worden.
Unser Erstaunen war noch größer, als die Beamten bei ihrer Durchsuchung tatsächlich diese Uhren bei uns fanden. Gut versteckt in einem Wäschefach. Polizeivernehmungen meiner Mutter, Schreiben der Staatsanwaltschaft und Niederschlagung der Anzeige durch diese, führten zum Glück nicht zur Gerichtsverhandlung, oder gar Verurteilung.
Mangel an Beweisen war der Grund dafür. Meine Mutter hatte weder Schlüssel für die Arbeitsbereiche der Uhrmacher, noch lag ein Einbruch vor. Daher kam schnell der Verdacht auf, mit einer Verurteilung wegen Diebstahls sollte eine fristlose Kündigung gerechtfertigt werden.
Der nächster miese Coup, folgte auf den Fuß: Mangels anderer Kinder in der Straße der wohlhabenden Anwohner, meldete mich meine Mutter bei der Jungschar an, eine Kinderbetreuung der evangelischen Kirche, die mehrere Angebote im Monat durchführten. So waren immer wieder sonntags Ausflüge, Wanderungen im Programm.
An einem Sonntag, nur kurze Zeit nach der Diebstahlsgeschichte, wollte ich morgens um 9 Uhr zur Kirche laufen, unserem Treffpunkt für den Ausflug. Ich war angemeldet und meine Mutter hatte bereits einen geringen Betrag hierfür geleistet. Aber die Haustüre war abgeschlossen und wir konnten das Haus nicht verlassen. Onkel und Tante zeigten sich nicht nach meinem Klingeln. Wir waren von den eigenen Verwandten gefangen. Eingesperrt, nichts ging mehr.
Aber da ich bisher immer zuverlässig bei der Jungschar erschienen und auch das Geld schon bezahlt war, kam dem Leiter Jungschar mein Fehlen komisch vor. Kurzentschlossen kam er mit rund fünfzehn Kindern zum Haus in dem wir wohnten, um nach meinem Verbleib zu forschen.
Auf sein Klingeln wurde nicht geöffnet. Ich sah jedoch die Gruppe auf der Straße stehen und rief durch ein geöffnetes Fenster, dass ich eingesperrt sei und das Haus nicht verlassen könne. Vor allem aber wer uns gefangen hielt.
Der Jungscharchef wusste Rat. Er skandierte mit seiner Gruppe in regelmäßigen Abständen: „TÜRE AUF! TÜRE AUF! TÜRE AUF!“
Das hatte einen durchschlagenden Erfolg, denn das passte nicht in eine Gegend, in der wohlhabende Hausbesitzer wohnten. Schon gar nicht an einem besinnlichen Sonntagmorgen. Die ersten Fenster wurden bereits aufgerissen und Passanten strömten auf die Straße, um nachzuschauen, was da los sei.
Daher kam es, wie es kommen musste, mein Onkel und meine Tante mussten nachgeben und und uns frei lassen. Glücklich und froh, konnte ich dann mit den Freunden zum Ausflug.
Noch immer hatten meine Verwandten keinen Erfolg mit unserer Vertreibung. Das wurmte sie. Wir, die lästigen „Läuse in ihrem Pelz“ stachelten meine nette Verwandtschaft jetzt zur Höchstleitung an. Der Onkel hatte es sichtlich satt. Wir mussten raus. Frei nach dem Motto, sind sie nicht willig, dann eben mit Gewalt.
Als ich eines Tages mit meiner Mutter aus der Stadt nach Hause kam, trauten wir unseren Augen nicht. Die Straße vor unserem Zuhause sah aus, als wäre Sperrmüll Abholung. Alle unsere Möbel, Bettzeug, Hausratsgegenstände , unser ganzes Hab und Gut, stand auf dem Gehweg vor unserem Wohnsitz.
Das war zu viel für meine Mutter. Sie brach in Tränen aus, ich drängte mich an sie und wollte sie trösten. Aus Verzweiflung, wurde jedoch schnell pure Wut. Sie machte sich los und stürmte wie ein wildgewordenes Nashorn zum Haus. Aber da war kein Durchkommen, denn unsere „lieben Verwandten“ hatten das Schloss an der Haustüre auswechseln lassen. Aber die Gartentüre war offen. Wir stürmten von hinten auf die Terrasse, aber bevor meine Mutter ihre aufgestaute Wut los werden konnte, verzogen sich alle ins Haus und verschlossen die Türen hinter sich. Das passte zu dieser hinterhältigen, feigen Bande!
Wir gingen daher zur Polizei, die uns weiter leitete zum Amtsgericht. Nach langem hin und her wurde den Beamten ein Beschluss ausgehändigt, die den Vermieter unter Strafe verpflichtete, uns wieder in unsere Zimmer zu lassen und die Möbel und alles was sonst noch auf dem Gehweg stand, an seinen Platz zurückzubringen.
Als wir oben ankamen sahen wir, dass die Wand zur Uhrenfabrik herausgebrochen war und unser Hab und Gut aus diesem Weg herausgeholt worden war. Die heraus gebrochene Wand wurde erst einen Tag später notdürftig wieder zugemauert. An ihren Arbeitsbereichen sahen wir aber keine Uhrmacher sitzen, die hatten wohl Urlaub, oder sonst wie frei bekommen. Wahrscheinliche, dass sie nicht Zeuge dieser schändlichen Tat werden konnten.
Die Woche darauf fuhren wir mit dem Zug nach Pforzheim, zu unserer vielfältigen Verwandtschaft. Diese halfen uns in Pforzheim eine Wohnung zu bekommen. Viel Glück und Zufall trugen dazu bei. Gott sei Dank, vielleicht war es auch sein Werk.
So hatte der Aktionismus von Onkel und Tante doch noch was Gutes, wer weiß wie lange es noch so weitergegen wäre.